Zusammenarbeit mit der Musikerin und Performerin Shin-Hyo Jin
Projekt: Der zeitgenössische literarische Erzähler –
In einer Welt des Überflusses das vermeintlich Einfache suchen
Richard Schnell und SHIN Hyo Jin haben sich 2012/2013 in Berlin im gemeinsamen Umkreis eines Künstlernetzwerkes über das Thema Bewegung und Musik kennengelernt. Aber erst als SHIN Hyo Jin 2018 Richard Schnell in seiner Interpretation des literarischen Textes „Dshamilja“ von Tschingis Aimatow mit dem Shakuhachi-Spieler Fritz Nagel hört, versteht sie, warum der Schauspieler Richard Schnell den Austausch mit ihr als Rhythmikerin und Perkussionistin suchte:
Die Art und Weise, wie Richard Schnell, ohne zu spielen auf einem Stuhl sitzend, den literarischen Text „liest“, eher auswendig vorträgt und begleitet von diesen leisen Klängen verschiedener asiatischer Flöten die Zuhörerschaft in diese Geschichte zieht, erinnert sie an die Pansori-Sänger*innen, die Epen-Sänger*innen aus Korea, die in rhythmisch gedachten Versen über Stunden hinweg klassische Texte rezitieren, nur begleitet von einer Trommel.
In verschiedenen Meetings und im Austausch von gegenseitigen Referenzen kristallisiert sich eine Idee: Warum ziehen wir nicht aus den uns bekannten kulturellen Vorbildern von Epen-Sänger*innen und Erzähler*innen die Techniken des Vortrages und wenden sie auf zeitgenössische literarische Texte an, um diese zum „Erklingen“ zu bringen, sie ohne visuelle Darstellung in der Phantasie der Zuhörer lebendig werden zu lassen?
„Es geht mir nicht darum einfach nur alte Erzählformen zu reproduzieren, sondern sie neu zu greifen und mit ihnen an zeitgenössischer Literatur und ihren brisanten Themen zu arbeiten, um damit aus der Vergangenheit durch die Gegenwart in eine bessere Zukunft Brücken schlagen.“
Richard Schnell
Diese interkulturelle Begegnung ist die Brücke zwischen dem „Erzähler“ Richard Schnell und der „Begleiterin“ SHIN Hyo Jin. Rhythmus ist die Brücke zwischen Text und Musik, die durch sie ineinander übergehen.
„Interessant finde ich, dass wir uns orientieren an der Kunstfertigkeit alter Formen, an wirklichen Fertig- und Fähigkeiten, bei denen ich zunehmend wahrnehme, dass wir die eigentlich verlieren. Wir entwickeln uns technisch immer weiter, haben aber immer weniger Fähigkeiten.“
Richard Schnell
Für diese Idee stellt sich aber als notwendig heraus, folgende Fragen durch ein gemeinsames Tun zu beantworten: Welche musikalischen Methoden können Richard Schnell und SHIN Hyo Jin zusammen recherchieren, extrahieren und sich als Fähigkeit aneignen, um literarische Texte in einen Klang-Epos zu übersetzen, durch reine Kürzungen und musikalische Interpretationen (Rhythmisierungen, Vertonungen, Lautmalereien) hochbrisante Texte in einer auf den ersten Blick simpel erscheinenden Weise für eine Bühne aufzubereiten? Wie können sie diese Methoden dann beschreiben und für andere festhalten? Welche ästhetischen Kategorien der Umsetzung sind ihnen dabei wichtig und wie wollen sie sich zu den Originalstilen, aus denen sie bestimmte Techniken ziehen, verorten?
„Der/Die Erzähler*in war und ist nicht nur ein Geschichten-Weiterreicher. Vielmehr wird diese Person durch die Geschichte zu einem Medium selbst. Das Ganzheitliche verkörpert diese/r Magier*in, wenn die Schicksale und Lieder zu dem Zuhörer dringen als Stimme aus der Zeitlosigkeit. Rhythmus ist universell. Er ist Herzschlag, Gefühlsschwingung, Wasserlauf, Namensliste, Gebet und Tagesablauf. Wir sind in unseren Rhythmen viel enger aneinandergebunden, als wir es bewusst wahrnehmen. Die Stimme formt in rhythmischen Einheiten Sprache.“
SHIN Hyo Jin