Stimmen aus Tschernobyl

Stimmen aus Tschernobyl

Eine theatralisch-musikalische Auseinandersetzung mit Swetlana Alexijewitschs Buch „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“

Die Entschleierung des „friedlichen“ Atoms im Reaktorunglück von Tschernobyl war ein missglücktes Experiment der Hochrisiko-Technologie. Die Entfesselung des atomaren Höllenfeuers. Wir betraten eine Welt, in der das Böse keine Erklärungen abgibt. Es offenbart sich nicht. Es kennt keine Gesetze und Grenzen. Töten kann das abgemähte Heu. Der geangelte Fisch, das gefangene Wild. Ein Apfel. Tschernobyl ist der verkehrte Garten Eden. Angriff auf alles Lebendige selbst. Diese Zone ist nicht irgendwo, weit weg. Sie hat sich auf die ganze Welt erweitert. Wir sind drin. Teil des Experiments. Im Kern Resultat einer Wissenschaft und Gesellschaft, die die Wahrheit über Tschernobyl bis heute gefangen halten. „Ich habe gesehen, wie der Vor-Tschernobyl-Mensch zum Tschernobyl-Menschen wurde.“ Swetlana Alexijewitsch

Das Buch „Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft“ der weißrussischen Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch ist die Inspirationsquelle der künstlerischen Arbeit des international besetzten Ensembles aus fünf Schauspielerinnen und Schauspielern, drei Musikerinnen und Musikern und einer Sängerin. In einem mehrwöchigen gemeinsamen Probenprozess wird die theatralisch-musikalische Bühnenfassung aus den individuellen Zugängen und den kreativen Beiträgen der Künstler und Künstlerinnen zum Thema Tschernobyl erarbeitet. Ein Dialog der Künste Schauspiel, Musik, Gesang, Pantomime, Licht und Video entsteht, er bildet das lebendige Ausdrucksgeschehen der Stimmen aus Tschernobyl.

Für die Aufführungen hat die Regisseurin sich für das SOEHT.7, im ehemaligen Frauengefängnis Lichterfelde, Söhtstr.7, 12203 Berlin, entschieden. Vorplatz, Lichthof, Gänge, Zellen und Kapelle des Gefängnisses werden durch die Inszenierung bespielt. Durch die raumspezifische künstlerische Arbeit im ehemaligen Gefängnis betonen die Stimmen aus Tschernobyl jene Dialektik der Entschleierung des „friedlichen“ Atoms und seiner Entfesselung als atomares Höllenfeuer sowie einer Wissenschaft und Gesellschaft, die die Wahrheit über Tschernobyl bis heute gefangen halten.

Team

Regie Elzbieta Bednarska —– Schauspiel Katja Tannert – Jule Torhorst – Nico Ehl – Richard Schnell —– Gesang Sophie Tassignon —– Musik Agata Gromek – Konrad Roginski – Ingo Ross —– Kostüme Daphne Roeder —– Licht Juri Rendler – Zachary Schellin —– Video Declan Hurley —– Textfassung Elzbieta Bednarska —– Plakat Leszek Zebrowski

Flyer: Stimmen aus Tschernobyl

 



© Fotos 1-6: Roger Rossell   |   © Fotos 7-13: Christian Angl

 

„Tschernobyl ist ein Mysterium, das wir erst entschlüsseln müssen. Ein noch ungedeutetes Zeichen. Vielleicht das Rätsel für das einundzwanzigste Jahrhundert“. Swetlana Alexijewitsch


Vor dreißig Jahren markierte das Reaktorunglück von Tschernobyl einen Einschnitt in der Geschichte der Menschheit. Seine „strahlende Zukunft“ über geschätzte 1.600 Generationen hinweg fordert uns Zeitgenossen auf, die Verantwortung für die Zukunft von Mensch, Mitwelt, Nachwelt und Umwelt auf der Erde als Entwicklungsort des Menschen wahrzunehmen.

Die kritische wissenschaftliche Forschung zu Tschernobyl wird durch beratenden und aktiven Einbezug des gesellschaftspolitisch engagierten Wissenschaftlers Dr. rer. nat. Sebastian Pflugbeil (Gesellschaft für Strahlenschutz, https://de.wikipedia.org/wiki/Sebastian_Pflugbeil) in die Inszenierung zum Ausdruck kommen.

Die Inszenierung versteht sich als Beitrag zu Hans Jonas‘ Forderung nach einer Heuristik der Furcht. „Je dunkler die Antwort, desto heller gezeichnet die Verantwortung. Und je weiter noch in der Zukunft, je entfernter vom eigenen Wohl und Wehe und je unvertrauter in seiner Art das zu Fürchtende, desto mehr müssen Hellsicht der Einbildungskraft und Empfindlichkeit des Gespürs geflissentlich dafür mobilisiert werden: eine aufspürende Heuristik der Furcht wird nötig.“ (Das Prinzip Verantwortung (1979), S. 391 f.).